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Ida heißt Hinreise

  • Autorenbild: Thomas Hopfgartner
    Thomas Hopfgartner
  • 1. Juli 2021
  • 7 Min. Lesezeit

...auf Spanisch;-)


Es regnet. Woher ich das weiß?

Ich höre es auf das Dach prasseln. So mittlere Stärke, gleichmäßig. Was mich immer fasziniert ist vor dem Regen, bei Tag. Meistens verdüstert sich ganz langsam die Helligkeit und intuitiv wissen wir sehr genau wann die ersten Tropfen fallen werden. Allein wenn man daran denkt, das kann bereits das Einsetzen des Regens sein.


Ich bin grundsätzlich sehr helligkeitsbedürftig, man kann es genauso als empfindlich bezeichnen. Ein lieber Studienkollege hat mich in diesem Kontext einmal in Cambridge den 'Illuminator' genannt. Damit meinte er, ich müsse im Haus, im Raum immer die genau passende Helligkeit für mich haben. Wenn Glühbirnen und Lichtquellen zu grell, zu hell, zu weiß oder eben das Gegenteil zu dunkel sind, ändere ich das wenn möglich umgehend.

Wenn ein Raum kein Fenster hat und somit eben kein Tageslicht, ist es für mich passend.


Ich komme gerade vom Lago Atitlan, inzwischen ist später Nachmittag. Habe eine etwa fünfstündige Tagesreise hinter mir. Zuerst wanderte ich zum Bootssteg in Pana, herrlicher Morgen, Sonnenschein. Ich stieg in das Boot nach San Lucas, warten war angesagt. Halbvoll mit Passagieren legte es los, am Hauptsteg stieg dann unerwartet noch eine Familie mit ihren 3 Generationen zu. Der Jüngste von ihnen, ein etwas ungelenker Bub, saß vorne im Bug und freute sich über diese Poleposition, wie es üblicherweise genau ich auch tue;-)


Anschwappen auf San Lucas - der Motor wird abgestellt und wir gleiten wie eine landende Ente butterweich in Richtung Steg


In San Lucas fand ich nicht gleich meinen nächsten Transport, irrte etwas durch die Gassen bis ich in einem roten Kombi zu sitzen kam, der darauf recht bald lostuckerte. Der Zielort hieß Patulul, ich ließ ich mich aufklären, etwa 30 km in südlicher Richtung wie meine offline Handy App mir mitteilte. Ich bin mit solchen Kombis allein in Afrika schon X-Male gefahren, in Ostafrika nennt man sie Matatu oder Dallala. Dazu allein könnte ich sehr viele Geschichten schreiben, mit vielen Emotionen meinerseits. Dieser Kleinbus hier wurde ortsausgangs doch so voll, dass Kunden stehen mussten. Wäre ich aufgestanden, hätte meine Schulter die Decke berührt. Für einen durchschnittlichen Mittelamerikaner geht sich Stehen sauber aus, er kann den Kopf aufrecht halten.


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Im Kombi - scharf wurde diese Innenaufnahme nicht - die Flucht nach außen wäre immer wieder möglich gewesen


Die Fahrt ging permanent mäßig steil bergab, den Vulkanflanken des Atitlan verlaufend. Viele Stopps und scheußliche und laute Musik mit diesen Blechblasinstrumenten, die sich teils anhören als wenn man einem Luftballon am Hals auseinanderziehend die Luft auslässt, plus mitmenschliche Gesäßbacken fast im Gesicht, verhalfen meiner Montagsstimmung zu keinem Höhenflug. Obwohl ich mich auf die 'Ida', also Hinreise und diese Exkursion schon etliche Tage wirklich freute, so wie oft wenn ich auf Reise gehe.


In Patulul flüchtete ich dann knapp vor dem Terminal aus der roten Zwangsdisco und war schon überrascht wie warm es hier war, ich schätze mittlerweile auf etwa 1000 m Meereshöhe. Das Internet verbessert mich gerade auf gut 300 m, das erklärt die leichte Hitze, ich hab mich also ordentlich getäuscht und wir waren 1200 m Tiefenmeter hinuntergebraust vom See aus. In Autobussen bekommt man Höhenunterschiede weit weniger gut mit, als wenn man zu Fuß oder mit dem Fahrrad die Gegend durchstreift. Jede andere Art des Reisens ist ganz einfach zu schnell. Was sich für mich in diesem Provinznest ausging war Wasser zu lassen und meine 2 Bananen zu verschlingen die ich noch von daheim mithatte.


Im neuen Chicken-Bus, der Guatemala City zum Ziel hatte, saß ich nun im vorletzten Sitz. Eigentlich mein jahrelanger Lieblingsplatz im Bus, was sich während meiner Schulzeit festigen konnte. In diesen alten Ami-Schul-Bussen sind die Sitzbänke jedoch teils in so engen Abständen angeschraubt, dass ich dieses Mal ganz schräg sitzen musste, meine Knie im Gang positioniert. Dieser selbst ist auch nur circa 20 cm breit, besser ausgedrückt, schmal und beim Durchschlängeln muss man seitlich tänzelnd passieren.



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Auf nach Escuintla in meinem 'aisle-seat'


Die Strecke vor uns etwa 70 km angeblich, nach Esquintla. Es ging bald auf die Hauptstraße die in Topzustand war, man kann sie wirklich beinahe als gute Autobahn bezeichnen. In meinen 'aisle seat' wie man im Flugzeug sagen würde zum Gangsitz, nickte ich nicht ganz so schnell ein, wie manch anderer Fahrgast, der dieses Einknicken des Oberkörpers perfekt und unwillkürlich zelebrierte, wenn diese berüchtigte Bustransportmüdigkeit zuschlägt. Manch einen erfasst diese Reiselungerstellung sofort nach dem Einsteigen, sobald sich das Vehikel in Bewegung setzt. Mir ist für dieses Tagträumen allermeistens die verpasste Landschaft zu schade, die ich sehen möchte.


Der Bus glitt immer einmal wieder von der Hauptbahn ab um in nahen Orten entlang der Route Passagiere aufzunehmen oder eben abzuladen. Das Tempo war flott, die Wärme gut und Esquintla relativ rasch erreicht. Wir querten vorher noch die mächtige Furche vom Riesenvulkan Agua kommend in der Bäche bis hinunter zum Pazifik fließen.

Irgendwo mitten im neuen Zielort hieß es raus für mich, denn heute wollte ich ja nicht in die aktuelle Hauptstadt. Draußen versuchte ich mich zu orientieren, es war nicht ganz so einfach das nächste Terminal nach Antigua auszumachen.



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Irgendwo im Ortstzentrum von Escuintla


Arg beeilen wollte ich mich aber ohnehin nicht, außerdem verpflanzte mich die Mittagszeit in eine kleine Essensstätte, wo ich Reis, zwei Tortillas, einen frischen Saft einen Stuhl und Tisch bekam. Das Leckerste war der Saft, zu dem mich der beleibte Wir eh nur überredet hatte. Mein gegenüber sitzender Genosse war wieder superfreundlich, ich staune hier in Mittelamerika, das kann man mit Afrika nicht vergleichen. Die Zentralamerikaner haben grundsätzlich beste Sitten, Hut ab!


Nach dem Imbiss sollte ich also meinen nächsten und wohl letzten Bus für heute finden via Alotenango nach Antigua. Das gelang mir auch, ich hielt ihn auf der Straße auf, der Kondukteur meinte nur forsch 'adelante' was so viel wie bedeutet wie 'mach weiter'. Ich dachte mir: 'Du stresst mich nicht unnötig mit dieser künstlichen Hektik!' Sie ist unangebracht, und ich schätze sie nicht. Sehr wenige Leute saßen bereits im Bus, der Grund wohl, er startete eben erst hier in Esquintla hier. Die Strecke ging jetzt bergauf, wen wundert's, nach diesem Höhenverlust vom Vormittag hinunter zur Panamericana musste jetzt wieder Höhe gemacht werden ins Hochland der Sierra.


Wieder war Lärmmusik angesagt, aber vor allem war die Fahrweise des Chauffeurs so hektisch und gefährlich, dass sich ein Wohlgefühl nicht einstellen konnte. Ich erhoffte mir den Riesenvulkan Agua nun erstmals vom Süden her zu erspähen, aber Wolken hüllten den Giganten ein, Blitze kreuzten auf, gefolgt von Donner und einsetzendem Regen. Der Schaffner klappte alle restlichen offenen Fenster des Transporters hinauf, nur mehr die vordere Bustür blieb offen. Der Fahrstil war so unnötig hektisch, jeder Fahrgast bekam die massive Unruhe des verantwortungslosen Lenkers mit. Er überholte riskant, sogar in Rechtskurven, wohlgemerkt bei Regen auch noch. Es war ein mulmiges Gefühl, verdammt ungut.


In Alotenango war der Scheibenwischer immer noch beschäftigt und die Trockenlappen der Verantwortlichen feucht oder nass vom zusätzlichen Putzen um freiere Sicht zu gewährleisten. Leider war eben der massive Schichtvulkan in dichten Wolken als wir Antigua erreichten, vorher passierten wir noch Antigua Vieja. Ich sprang heilfroh aus diesem Chicken-Bus. Regen war jedoch weiterer Begleiter, so stand ich erst einmal mit anderen Schutzsuchenden unter einem Vordach des Terminals. Ich bereitete mich und meinen Rucksack für einen Regenspaziergang vor.


Das Ziel meines Besuches in Antigua im Blick, steuerte ich zum Marktstand, wo ich vor Wochen mein Handy gekauft hatte. Ich schob eine Plastikkiste mit Handy-Hüllen am Boden so zur Seite, dass ich unter dem kleinen Vordach des Ständchens Regenschutz hatte. Der eloquente Verkäufer hatte jetzt Zeit für mich gefunden, nachdem er einen anderen Telefoninteressenten bedient hatte.


Da der Regen auch nach meiner Reklamation weiterarbeitete, suchte ich im Inneren der zusammengebastelten Markthalle einen chinesischen Plastikhocker auf dem mein immer noch trockener Hintern zum größten Teil Platz fand. Gereicht wurde mir eine Schale Milchkaffee mit Zucker, die Budenfrau meinte, alles schon fix und fertig gerührt. Ich zückte jetzt mein grünes Notizbuch und begann den bisherigen Tag in Worte zu fassen und niederzuschreiben. Direkt vor mir waren Dutzende Fußballschuhe in allen, auch grellen Farben über eine ganze Wand verteilt. Auf das Wellblechdach klopfte der Regen. So ungemütlich war es hier gar nicht.


Ein Mix aus neu und gebraucht - original Markenschuhe neben vielen asiatischen Kopien - während die EM in Europa ein Jahr verspätet gerade läuft


Als mein Gehör relative Ruhe vom Dach her vernahm, schoss ich auf und ein netter männlicher Mitmensch meinte gleich zu mir, ja es hat aufgehört zu regnen, nach dem Motto, du kannst jetzt raus. Der Weg führte mich durch dieses Markthallenkonglomerat in Richtung Stadtzentrum, wo ich in meinem bereits bekannten Hostal ein Zimmer für die Nacht fand genauso wie bekannte Gesichter. Es war noch zu früh, um den Rest des frühen Abends in der Herberge zu verbringen, so nahm ich Kurs auf mein Stammcafe, wo ich immer die Promotion Schokoladekuchen mit Süßsaftgelee bekomme, plus Kaffee. Ursprünglich bin ich einmal auf diese Werbung am Gehsteig hineingefallen, und seitdem wurde es der Brauch am späten Nachmittag, Abend dorthin zu schauen.


Die zwei Bediensteten die sich immer, genauso wie ich freuen, wenn wir uns treffen, meinten, heute gäbe es leider keine Sachertorte al al Antigua Guatemala Style. So traurig war ich darüber gar nicht, denn ich hatte meinen Kaffee heute bereits gehabt, so bestellte ich ein kleines Gallo Bier. Sehr frisch war der Gerstensaft, eisgekühlt, er schmeckte lecker. Vorher aber stieg ich wie meistens einmal die enge Wendeltreppe vom Parterre des Hotelchens hinauf auf die Dachterrasse um das Wetter und die Stadt in Augenschein zu nehmen. Wolkenverhangen, dämmrig, kurz vor Regen, sehr typisches Regenzeitwetter hier im Hochland. Und jetzt abends langsam etwas kühl werdend. Ich stiefelte wieder hinunter zu meinem runden Tisch mit weißem Tuch und meinen Utensilien.


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Kein Corona Bier hier - nein, ein Gallo - im T-Konte


Ich war also gut in Antigua angekommen. Nachdem ich vor 4 Wochen bereits eine Woche in der Stadt verbracht hatte, war ich jetzt beim zweiten Besuch schon etwas mehr als ein Ersterschnupperer der alten Metropole des Mayareiches von Guatemala, die im 18.Jahrhundert so schwer gerüttelt wurde von einem Megaerdbeben. Riesenmauerstücke von kolonialen Gebäuden liegen heute noch am Boden herum und lassen die Massivität des Bebens von damals erahnen.







 
 
 

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